Verdrängung in Reproduktionsarbeit

Wir dokumentieren an dieser Stelle einen Artikel aus dem Klassenstandpunkt #6.

Verdrängung in Reproduktionsarbeit

Seit dem 1. Januar gilt in Deutschland das sogenannte neue Pflegegesetz. In den bürgerlichen Medien wird es als eine großartige Reform behandelt, die eine große Entlastung für Pflegebedürftige und deren Angehörige sein soll. Zwar wurden finanzielle Bezüge für Pflegebedürftige angehoben, doch schon bei oberflächlicher Betrachtung ist klar zu erkennen, dass die Reform ein schlechter Witz ist. Bei genauerer Betrachtung hingegen wird klar, dass das Pflegegesetz an sich einen grundlegenden patriarchalen Charakter trägt, gut versteckt hinter der reaktionären Idee bürgerlicher Gleichberechtigung.

Das Gesetz enthält die sogenannte Pflegezeit, eine Regelung die der sogenannten Elternzeit ähnlich sein soll. Diese soll die Freistellung von Angehörigen von Pflegebedürftigen regeln. Gesetzlich zugelassen ist eine Höchstzeit (!) von sechs Monaten, die der Arbeitgeber verpflichtet ist zu garantieren, mit der Inanspruchnahme der Pflegezeit verfällt der Anspruch des beschäftigten auf Vergütung, heißt dass die Beschäftigten in der Zeit unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten. Zusätzlich möglich sind seit dem 1. Januar  eine kurzfristige Freistellung von maximal zehn Tagen, um dringende Pflegearbeiten zu erledigen bei einem Lohnausgleich von 90% und die Reduzierung der Arbeitszeit auf mindestens 15 Wochenstunden für maximal 24 Monate, um Pflegearbeit zu leisten. Alle diese Maßnahmen haben den Charakter, dass am Ende unbezahlte Reproduktionsarbeit steht, denn statt beispielsweise eine volle 38 Stunden Woche zu arbeiten, reduziert ein Angehöriger eines Senioren mit Pflegebedarf seine Arbeitszeit auf 15 Stunden die Woche, das heißt der Angehörige arbeitet 23 Stunden (offiziell, wahrscheinlich ist es mehr) für die Pflege des Senioren, diese Arbeit wird nicht bezahlt, also werden 23 Stunden unbezahlte Reproduktionsarbeit in der Woche geleistet (plus „Überstunden“). Hinzu kommt dass die Pflegezeit nur einmal in Anspruch genommen werden kann, doch in der Regel leben unsere Eltern und Großeltern auch wenn sie Pflegebedürftig sind länger als 6 bis 24 Monate.

Wo die unbezahlte Reproduktionsarbeit liegt ist klar, doch wo liegt nun der patriarchale Charakter der Pflegezeit? Ein einfacher Zusammenhang macht dies deutlich. In Familien mit zwei Einkommen, also dem der Frau und dem des Mannes, ist es in der Regel so, dass die Frau den geringeren Verdienst hat. Oftmals arbeiten Frauen sowieso schon nur Teilzeit, um die Reproduktionsarbeiten in der Familie zu übernehmen, sei es Waschen, Putzen, Kochen, Kindererziehung oder eben Pflege anderer Familienangehöriger. Selbst wenn Mann und Frau den gleichen Job haben und die gleiche Stundenzahl arbeiten ist es so, dass Frauen in der Regel 22% weniger verdienen als Männer im gleichen Beruf. Wie man es also dreht und wendet, in Familien ist die Frau in der Regel die Person mit dem geringeren Einkommen. Die Konsequenz daraus ist, dass wenn die Pflegezeit, in der einen oder anderen Form, wahrgenommen wird, natürlich lieber auf das geringere Einkommen verzichtet wird, das heißt die Frau gibt ihre Beschäftigung auf, um unbezahlte Pflegearbeit zu leisten. Sie wird förmlich in die Reproduktionsarbeit verbannt. Alles abgesegnet und gefördert vom deutschen Staat und seiner Gesetzgebung. Bei der Situation von Alleinerziehenden, auch besonders oft Frauen, kann sich jeder selber vorstellen in welche unerträgliche Zwickmühle sie gebracht werden, denn ein Platz in einem Pflegeheim kostet in der Regel zwischen 2000 und 3500 Euro,  bei Pflegestufe 3 gibt es aber maximal 1612 Euro Pflegesachleistung, es bleiben also zwischen 400 und 1900 Euro an kosten die getragen werden müssen. Das Thema der Altersarmut ist etwas was wir zukünftig noch behandeln werden.

Das Pflegegesetz ist in der „sozialen“ Gesetzgebung in Deutschland auch kein Einzelfall, ein anderes Beispiel ist das Betreuungsgeld, das in den bürgerlichen Medien oftmals zutreffend als „Herdprämie“ bezeichnet wurde. Es funktioniert grundsätzlich nach dem gleichen Prinzip der Verdrängung von Frauen in die Reproduktionsarbeit, nur dass es sich dabei um Kindererziehung handelt. Sieht man, dass über 94% der Empfänger des Betreuungsgeldes Frauen sind wird deutlich, dass der oben genannte Zusammenhang zwischen diesen Gesetzen und Patriarchat nicht aus der Luft gegriffen ist. Es ist also überdeutlich, dass in der BRD die „soziale“ Gesetzgebung grundlegend einen patriarchalen Charakter hat, der Frauen in die Reproduktionsarbeit verdrängen soll. Dies ist bloß ein weiteres Beispiel dafür, dass das Märchen von der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der BRD, in der ganzen bürgerlichen Gesellschaft, im Imperialismus eben genau das ist, ein Märchen.

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