Des Märtyrers Witwe

Wir dokumentieren an dieser Stelle einen Artikel aus dem Klassenstandpunkt #4.

Des Märtyrers Witwe

[Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Buch „Portraits of Chinese Women in Revolution“ von Agnes Smedley aus den Jahr 1976. Die 1892 als Tochter eines Minenarbeiters in den USA geborene Journalistin berichtete für verschiedene Zeitungen in den 30er und 40er Jahren von der chinesischen Revolution. Nach ihrem Tod 1950 wurde sie auf dem Friedhof der Revolutionshelden in Peking beigesetzt. Die Aufgabe des proletarischen Feminismus ist es, den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feminismus zu entlarven. Dieser Aufgabe dient dieser Text.]

Als Deng Yin-chu im Gefängnis von Nanking saß und auf den Tod wartete, ließ er die leidvollen Jahre an sich vorbeiziehen, die er mit seiner Frau verbracht hatte. Ihr einziger Besuch hatte Erinnerungen zum Leben erweckt, die nicht schön waren. Doch jetzt hatte sie dem Gefängnisdirektor einhundert Dollar für das Privileg bezahlt, ein paar Minuten mit ihrem Mann sprechen zu dürfen und erzählte ihm, dass sie dreißig Tausend Dollar aufgebracht hätte, um ihn zu retten. Mit Hilfe dieses Geldes hatte sie mit dem Gefängnisdirektor und den Richtern seine Flucht arrangiert. Er strahlte vor Freude und wartete auf die Einlösung ihres Versprechens.

Deng dachte mit Gewissensbissen daran, wie er Hwachuan in der Vergangenheit behandelt hatte. Doch hatte er allen Grund für seine Handlungen. Die Revolution hatte ihn in eine Richtung mitgerissen, sie in eine andere. Eine Ehefrau, die von seiner Familie ausgesucht wurde – doch lernte er sie zu lieben. Diese Liebe blieb ungebrochen bis zum Jahr 1925, ein Jahr vor seiner Verhaftung. Ihre drei gemeinsamen Kinder banden sie näher zusammen. Doch verstand er sie nie, auch wenn er sie liebte. Sie verbrachte den Großteil ihrer Zeit mit Lästereien beim Tee, Mahjongg Partien, schmückte sich mit neuen Kleidern und sorgte sich um ihre Figur. Aber vielleicht waren die Frauen eben so. Und sie liebte Geld, aber vielleicht war es gar nicht so schlecht, da er darauf keinen Wert legte und während der zehn Jahre ihrer Ehe übergab er ihr stets seinen ganzen Lohn. Dieses Geld deponierte sie in einer Bank in Shanghai und verlieh es durch einen Agenten zu solch einem Wucherzins, dass sie es beinah verdoppelt hatte. Mit den Augen eines habgierigen Spekulanten verfolgte sie das Wachstum ihres Vermögens. Doch Deng sah darüber hinweg und sagte sich, dass sie es nur tat, um die Familie vor der Not zu bewahren. Er war sich nun sicher, dass es dieses Geld war, mit dem sie sein Leben retten wollte.
Er rief sich ins Gedächtnis, wie er ihr Interesse für politische Angelegenheiten zu wecken versucht hatte. Zuerst kaufte er Bücher und Zeitschriften für sie und versuchte enthusiastisch etwas von seinem Wissen und seinen Gedanken ihr beizubringen. Aber sie versteckte seine Bücher und Zeitschriften in einer Schachtel in der Vorratskammer, wo sie schimmelten und verrotteten. Und immer wenn er sie für seine Ideen zu begeistern versuchte, sah sie ihn entrüstet und verdrießlich an.

„Was geht es dich an wer China regiert?“ beschwerte sie sich. „Du hast eine gute Stelle und verdienst gut. Wenn du dich in diese gefährlichen Angelegenheiten einmischst, wirst du nur mich und unsere Kinder gefährden.“

Den männlichen Freunden, die ihn besuchen kamen, begegnete sie erst misstrauisch, und als sie sie von den gleichen Dingen sprechen hörte, die er ihr zu vermitteln versuchte, wurde sie so offen feindselig, dass sie nach und nach sie alle aus dem Haus vertrieb.

Deng suchte in ihr neben der Ehefrau eine Freundin und Kameradin. Wieder und wieder versuchte er Hwa-chuan von den glühenden Gedanken und geheimen Plänen seiner Freunde zu überzeugen. Seine Freunde, weiser als er war, warnten ihn immer wieder, sie aus seinen Angelegenheiten herauszuhalten. Aber er liebte sie und es war nicht einfach. Als die revolutionäre Bewegung sich entfaltete, nahmen seine Konflikte mit ihr an Stärke zu, und nur wenn sie anfing zu weinen, empfand er Reue. Mit ihr in seinen Armen sank er auf das Bett und betäubt von ihren Liebkosungen versprach er, sie zu beschützen und sich von seinen Freunden zu trennen, die sie in Gefahr brachten. Für eine gewisse Zeit war sie zufrieden, ihr Leben war friedvoll, doch dann kehrte er zu seinen Gedanken und Plänen zurück. Der Konflikt zu Hause begann erneut, und wieder endete es mit den Tränen seiner Frau; und wieder lag er am Ende in ihren Armen, sein Verstand beherrscht von ihrem Körper, und wieder gab er ihr neue Versprechungen.
Manchmal erwachte er nachts und dachte über diesen lästigen Kampf nach. Seine Freunde hatten Recht, seine Frau lag falsch. Doch hatte er nicht die Kraft, seinen Überzeugungen zu folgen. Dann wanderten seine Gedanken zu der ersten Frau, von der er beherrscht wurde. Jene Frau war die Konkubine seines Vaters gewesen und sein Vater hatte viele Tausend Dollar für sie bezahlt. Beinahe zehn Jahre älter als er, lehrte sie ihn die Geheimnisse dessen, was man Liebe nennt.
Damals war er ein siebzehn Jahre alter Jüngling. Vier Jahre lang wartete er darauf, sie zu seiner Konkubine machen zu können, wie ein schwanzloser Hund den Befehl seines Herrn erwartet.  Er  beobachtete sie mit eifersüchtigem Blick und wuchs zu einem verbissenen, stillen jungen Mann heran, geladen mit Schuld und krankhafter Leidenschaft. Dann – als ob er etwas geahnt hätte – schickte sein Vater ihn zur Fortsetzung seines Studiums ins Ausland. Sogar als er kurze Zeit später erfuhr, dass die Konkubine erkrankte und auf rätselhafte Weise verstarb, war ihre Macht über ihn ungebrochen. Er suchte nach ihren Zügen in jeder Frau, die er traf. Und als er sein Einverständnis zu der Frau gab, die seine Familie für ihn ausgesucht hatte, träumte er von ihr nur als seiner ersten Frau in anderer Erscheinungsform.
Deng dachte daran, wie er oft nachts wach war und und ins schemenhafte Antlitz seiner Frau starrte, nach den Zügen der Anderen suchend. Es waren keine da. Sie war zierlich, hatte glatte Haut und kleine Augen; ihre Erscheinung geprägt von lebloser, dümmlicher Schönheit, wie das Gesicht einer Puppe. Sie unternahm große Anstrengungen, um hübsch zu bleiben. Doch die erste Frau war groß und schlank gewesen, hatte große schwarze Augen, die vor Leidenschaft glühten, als er sie an sich nahm. Ihr Körper war wie ein schlanker Bambuszweig, schaukelnd im Wind, im Einklang mit seinem jedem Wunsch. Er konnte sich keines ihrer Worte entsinnen, die sie je gesprochen hatte – doch damals wurde von den Frauen erwartet, dass sie nicht viel redeten. Sie war der Anfang und das Ende seiner Wünsche, wie eine Frau zu sein hatte. Und doch hatte seine Frau etwas an sich, was ihn an die andere erinnerte. Wenn er sie in seinen Armen hielt, erwachte seine Erinnerung und er lag erneut in den Armen der Konkubine. Für diese kostbaren Augenblicke wandte er sich jahrelang von seinen Freunden und der Revolution ab.
In Gedanken versetzte sich Deng in die Nacht zurück, in der er sich von der Macht seiner Frau über ihn befreite; die Nacht, in der eine neue Leidenschaft an die Stelle der alten Erinnerungen trat. Es war der Abend des 30. Mai 1925 als die Nachricht vom Shanghai Massaker sich in ganz China verbreitete. Überall wurde die Arbeit niedergelegt; Männer standen herum und redeten von Streiks, Boykotts, Kämpfen. An jenem Abend kehrte er spät heim und war sich sicher, seine Frau ebenso aufgeregt und entschlossen vorzufinden, wie er es war. Sie wartete auf ihn, ein hübsches Lächeln aufgesetzt. Sie hatte nichts von den Geschehnissen gehört. Und als er ihr davon erzählte, sah sie ihn verständnislos an.
„Diese Leute machen immer schlimme Sachen“, sagte sie verdrießlich. „Sie versuchen immer Unglück heraufzubeschwören!“

„Was meinst du damit?“ fragte er erstaunt und verwundert.

„Dort in Shanghai – die Arbeiter und die Studenten. Die haben kein Verantwortungsbewusstsein. Deine Freunde sind genauso – sie haben schlechten Einfluss auf dich.“

Er ließ hilflos seine Arme hängen und schaute in ihr leeres Gesicht.

„Was hab ich denn nun getan?“ begann sie, ihre Lippen verzogen sich, tränen schossen ihr in die Augen. Sie warf ihre Arme um ihn und schmiegte sich an ihn. Aber er starrte sie nur weiter an, als ob sie eine Fremde für ihn wäre. Dann löste er langsam, aber bestimmt, ihre Arme von sich, und ging ohne ein Wort oder einen Blick aus dem Haus.

Von diesem Tag an arbeitete er stets klandestin und verlor kein Wort darüber in ihrer Anwesenheit. Ihre Verdrießlichkeit, ihre Ablehnung und ihre Tränen wurden zu einem unversöhnlichen Hass auf seine Freunde und auf die Bewegung, die China mitriss. Sie trug ihren Kummer von einem Teekränzchen zum andern und ihr Gerede kam schließlich Dengs Freunden zu Ohren. Deng entgegnete ihnen nur: „Sie weiß nichts von unserer Arbeit. Ich spreche mit ihr nie davon.“ Doch sie machten sich Sorgen, weil sie mit ihrer losen Zunge Gerüchte ausgelöst hatte.
Schließlich entschied ein Mann von ungestümem Charakter – sein Name war Wu – zu handeln. Eines Tages kam er zu ihr nach Hause und sagte geradeheraus: „Ich höre, was du über Dengs politische Aktivitäten erzählst. Ich warne dich – du setzt ihn und sein Leben Gefahr aus.Wenn dein Gerede die Ohren der Militaristen erreicht, wird er verhaftet und ermordet werden.“
Sie wurde kreidebleich vor Wut. „Ihr seid alle Kommunistenschweine! Ihr seid es, die sein Leben der Gefahr aussetzen. Welches Recht habt ihr, ihn in diese Aktivitäten mit rein zu ziehen? Er ist mein  Ehemann!“

„Ich habe dich gewarnt, ernsthaft. Die Militaristen haben Ohren an jedem Schlüsselloch. Niemand beschwert sich in aller Öffentlichkeit über ihn, nur du.“

„Du bist ein schrecklicher Mensch – verlass auf der Stelle mein Haus“ schrie sie.

Hwa-chuan schwatzte überall in der Stadt über ihr neues Unglück. Wu, der Kommunist, hat sie beleidigt! Als Wu diese Anschuldigungen hörte, packte er in aller Stille zusammen und verschwand aus der Stadt, da er fürchtete, seine Tage würden gezählt. Und als Deng seinem gerechtfertigten Ärger über ihr Benehmen Ausdruck verlieh, schrie sie ihn außer sich vor Wut an und rannte aus dem Zimmer. Dann kam Dengs Verhaftung und innerhalb weniger Stunden die Anklage wegen Hochverrat und das Todesurteil. Hwa-chuan wurde weniger von Trauer geplagt, als von Unmut und Ärger. Als seine Freunde sie anriefen und als seine Frau baten zum Gefängnis zu gehen und mit den Autoritäten über Bestechung zu verhandeln, beschuldigte sie sie zuerst aller möglichen Verbrechen. Sie warteten geduldig, bis sie fertig war. Dann entgegneten sie dass auch wenn alles, was sie eben gesagt hatte, wahr wäre, bliebe doch das Problem ihren Ehemann zu befreien. Das läge in ihrer Macht, doch seine Freunde könnten nicht ihr Leben aufs Spiel setzen, indem sie für ihn verhandelten.

„Und wer wird das Schmiergeld zahlen?“ fragte sie grimmig.

„Wir werden es tun,“ versicherten sie ihr.

Ihre Wut verflog, als sie übers Geld redeten. Und zuletzt stimmte sie zu.

Hwa-chuan passierte viele Türen in Nanking und schließlich wurde eine Summe von dreißigtausend Dollar festgesetzt, die Dengs Flucht aus dem Gefängnis ermöglichen sollte. Es war ein großes Unterfangen, da Dengs Freunde arm waren. Hwa-chuan hatte mehr als das in ihrer Bank in Shanghai, doch nicht ein Wort darüber brach über ihre Lippen. Es waren Dengs Freunde, die ihm dieses Unglück eingebracht haben, und sie sollten dafür zahlen! Dann begann das Geld in ihren Schoß zu fallen. Erst schickte Dengs alter Vater fünfzehntausend Dollar aus Szechuan und machte sich bereit aufzubrechen, um seinem Sohn zu helfen. Dengs Freunde sammelten das Geld in Bruchteilen – ein Tausend hier, fünf Tausend dort.
Schließlich lag die gesamte Summe in Hwa-chuans Händen. Sie starrte darauf und dachte, was für eine Schande es sei, so viel Geld an die Autoritäten zu verschwenden. Hwa-chuan spürte ihre Macht, und Geld bedeutete ebenfalls Macht. Sie begann mit den Richtern und Gefängnisobrigkeiten zu verhandeln, so wie sie mit den Verkäufern verhandelt hatte.

„Dreißigtausend sind zu viel – wir sind arm…wir haben nicht so viel Geld…Ich werde Ihnen fünftausend geben… na dann siebentausend.“

Dann, als die Tage vergingen und die Drohungen sich häuften, bot sie Zehntausend. Die Hinrichtung wurde zweimal angekündigt und zweimal verschoben, da die Autoritäten auf ihr Geld warteten. Aber sie wollten die gesamten Dreißigtausend. Darüber hinaus waren sie erzürnt, da sie ihr Gesicht verloren, wenn sie mit ihr wie gewöhnliche Männer auf der Straße verhandelten, als ob sie keine hochrangigen und mächtigen Beamten wären.
Die Freunde suchten oft Hwa-chuans Haus auf; Schweißperlen standen ihnen auf der Stirn. Zahle die vollen Dreißigtausend, baten sie. Bezahle sie! Hwa-chuan lächelte, als sie ihre Abhängigkeit von ihr sah, von diesen Männern, die sie nur eine Woche davor beleidigt hatten!

„Wenn ich Yin-chu befreie,“ sagte sie, „versprecht ihr, dass ihr ihn in Ruhe lasst und ihn in Zukunft nicht in eure verräterischen Aktivitäten hereinzieht?“ Die Männer sahen sie an mit einem Ausdruck von Angst oder Hass, der ihre Augen schwarz werden ließ.

„Ja, wir versprechen es,“ antworteten sie. „Wir versprechen dir alles – nur zahl das Geld und befreie ihn.“

„Ich werde zahlen,“ sagte sie, „aber diese Behörden werden auch mit weniger zufrieden sein, wenn wir nur etwas länger ausharren. Ich weiß, wie man mit ihnen verhandelt.“

Alles in allem war die Situation sehr spannend und aufregend für Hwa-chuan – ganz wie einige der Romane, die sie gelesen hatte. Oft stellte sie sich selbst als eine der Heldinnen dieser Romane vor – eine dieser großartigen Schönheiten, die in ihren glatten Händen das Schicksal von Königreichen hielten. Sie rief sich ins Gedächtnis wie Frauen der Vergangenheit mit Durchtriebenheit und sexuellem Charme ihre Familien in hochangesehene Positionen und ihre Feinde zu Fall brachten. Sie dachte an einen moderneren Roman, in dem ein Verräter erschossen wurde. Die Freunde des Verräters retteten seinen Körper und fanden nur eine Schussverletzung, und diese war nicht tödlich. Sie brachten den Mann zu Bewusstsein und pflegten ihn wieder gesund. In ihrer Phantasie stellte sich Sichuan vor, wie sie das Gleiche tat. Sie würde mit ihrem Charme die  Autoritäten verzaubern – und nebenbei zehn bis fünfzehntausend Dollar sparen, – sie würde Dengs Freunde vernichten, die für seine Gefangennahme verantwortlich waren, und falls ihr Mann am Ende erschossen wurde, würde sie ihn in einem Auto zum Krankenhaus bringen und ihn wieder gesundpflegen.

Hwa-chuan machte sich daran, ihre Träume zu verwirklichen. Als sie eines Tages von einem weiteren fruchtlosen Teetrinken mit der Gefängnisobrigkeit zurückkehrte, beschloss sie neue Taktiken anzuwenden. Sie ging zu einem Seidengeschäft und kaufte einige neue Stoffe, dann nahm sie eine Rikscha und fuhr zu ihrer Schneiderin, der sie Anweisungen zur sofortigen Ausführung gab. Sie würde in prachtvollen neuen Kleidern vor den Behörden erscheinen. Als sie die Schneiderei verließ, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, in ihr Haus zurückzukehren, in dem Tag und Nacht die Angst schwitzenden Männer warteten und sie anflehten, beschwörten, drängten. Ihr Leben war hart genug, ohne dass sie jeden Tag ihren Anblick ertragen musste! Auf ihren Schultern lastete die Bürde von Dengs Leben und die Verantwortung für das Geld, das sie sparen musste! Erschöpft von diesen Erschwernissen fuhr sie zum Obstgeschäft und kaufte einen Korb mit Edelmangos. Mit diesen fuhr sie zum Haus einer Freundin und verbrachte die ermüdenden Nachmittagsstunden mit dem Verzehr der Früchte und den Erzählungen von ihren Nöten und Sorgen. Am nächsten Morgen stand Hwa-chuan träge auf, um sich erneut ihren Schwierigkeiten zu stellen. Doch in der Stadt verbreitete sich die Nachricht, dass Deng Yin-chu an diesem Tag hingerichtet werden sollte. Jemand schickte Hwachuan eine Notiz, um sie zu informieren, doch sie nahm es auf die leichte Schulter und dachte nur, „Das ist die dritte Drohung. Die versuchen bloß die Dreißigtausend aus mir herauszulocken!“
Es verging nicht mal eine Stunde, da waren die Straßen von Nanking mit Menschen gefüllt. Und noch mehr strömten von allen Richtungen hinzu. Menschen von außerhalb vermischten sich mit Trauben von Schaulustigen. Soldaten marschierten die Straße runter – und in ihrer Mitte, die Hände auf den Rücken gebunden, die große schlanke Figur von Deng Yin-chu. Sein Kopf war unbedeckt und in seinem abgemagerten, blassen Gesicht  stand ein Ausdruck von Erregtheit und Verzweiflung. Er rief der gaffenden Menge, die nicht einen Finger zu seiner Rettung erhob, zu:

„Ich werde zu einer Exekution gebracht!Ich bin ein Mitglied der Kuomintang! Ich habe für die Revolution gearbeitet! Nieder mit Sun Chuan-fang! Nieder mit allen Unterdrückern des Volkes!“

Die Menge gaffte, hier und da stieß jemand ein kurzes Gelächter aus. Tausende reihten sich hinter der Prozession ein, rückten dicht an die Fersen der Soldaten, um zu sehen, wie ein Mann sich auf dem Weg in seinen Tod verhält. Auf dem Hinrichtungsplatz formte die dichte Menschenmasse einen Halbkreis. Mit der gleichen erwartungsvollen Aufregung, mit der man sich ein altes feudales Schauspiel ansieht, beobachteten sie nun wie die Soldaten sich aufstellten und auf das Feuerkommando warteten. Männer rangelten sich miteinander, um in der ersten Reihe stehen und besser sehen zu können.
Deng Yin-chu wurde zu einem leergeräumten Platz vor den Soldaten geführt. Allein vor dem Erschießungskommando stehend, doch den zehntausenden Männern und Frauen zugewandt, die da standen und gafften, erhob er seinen Kopf und schrie hinaus in die geistige Wüste von China:

„Nieder mit Sun Chuan-fang! Nieder mit den Unterdrückern des Volkes! Es lebe die Rev…!“

Eine Schusssalve schnitt seine letzten Worte ab. Sein Körper erbebte, sackte zusammen und sank auf die Erde; sein Gesicht grub eine kleine Senke im Staub. Eine weitere Salve grub sich in die ausgestreckte Gestalt. Dann machte ein Offizier einige Schritte nach vorne, trat den leblosen Körper von der Seite, sodass dieser mit dem Gesicht nach oben lag, hob seine Pistole und feuerte einen Schuss direkt in den Mund des toten Mannes.
In der Menschenmenge sank ein Mann bewusstlos zu Boden. Die Menge machte Platz für seinen fallenden Körper, blieb dann auf ihn hinunter starrend stehen; hier und da lachte einer. Niemand machte Anstalten, ihn auch nur zu berühren. Jemand streckte seinen Fuß vor und trat ihn in die Seite, um zu sehen, ob er tot war. Der Körper bewegte sich nicht. Ein kleiner Kreis starrte ihn noch ein paar Sekunden lang an und drehte sich dann wieder dem größeren Spektakel zu…
Die Soldaten marschierten ab und ließen den Körper von Deng Yin-chu liegen, den Hunden zum Fraß. Es war verboten, ihn zu entfernen, da Deng ein Revolutionär gewesen war. Die Menge rückte vorwärts, starrte noch einmal auf den toten Körper und zerstreute sich dann in der Stadt, um das Drama an ihre Freunde und Familien weiterzuerzählen.

Schließlich blieb nur eine kleine Gruppe von unersättlichen Neugierigen, ein ausgestreckter Körper eines Bewusstlosen und ein Mann, der wie versteinert mit leerem Blick da stand. Zuletzt kam der versteinerte Mann zu Sinnen und wollte weggehen. Sein Blick traf auf den ausgestreckten Körper. Mit einem Seufzer kniete er sich hin, drehte den Körper um und rief, „Wu…Wu!“ Der bewusstlose Mann kam auf die Erde zurück, der Versteinerte rief nach Rikschas, half der schlaffen Gestalt des Anderen hoch und fuhr mit ihm weg.
Unter den gaffenden Tausenden, die sich wegdrehten und verschwanden, war Hwa-chuan, Dengs Frau. Als die Nachricht, dass Deng durch die Straßen zur Exekution abgeführt werde, rief sie in der Garage an und forderte ein Automobil an. In ihrem Sinn stand die Geschichte von dem Mann, der erschossen, von seinen Freunden gerettet und gesund gepflegt wurde.  Sie würde ihren Mann auf die gleiche dramatische Art retten! Aber als sie den Exekutionsplatz erreichte, kam sie nicht durch die dichte Menschenmenge durch. Sie hörte nicht nur einen einzelnen Schuss, sondern eine ganze Salve. Dann folgte eine zweite, als ob eine ganze Armee im Einsatz wäre. Dann kam ein einzelner Schuss. Ein Mann, der auf den Schultern eines anderen saß, sagte: „Nun, von dem Genossen ist nicht viel übriggeblieben!“ Verwirrt und verwundert drehte Hwa-chuan um und rauschte in ihrem Automobil nach Hause. Als der Fahrer sie um vierzig Cent Trinkgeld bat, schrie sie ihn an, „Du hast wohl Wind in deinem Kopf!“ und ließ ihn mit ausgestreckter Hand sitzen.
In jener Nacht schlichen einige dunkle Gestalten im Regensturm, der sich über Nanking ergoss, über den Platz wo der Leichnam von Deng lag. Sie hielten an, flüsterten, hoben etwas auf und schlichen weiter. An der Stelle, an der Dengs Leiche ausgestreckt gelegen hatte, blieb ein trockener Fleck, der bald mit dem Schlamm in der restlichen Umgebung verschwamm. Am nächsten Tag berichtete die Presse, dass die Leiche des Verräters in der Nacht gestohlen wurde. Die Hunde von Nanking wurden um ihren Festschmaus betrogen.

Dengs Vater kam zwei Tage später. Er blieb für eine Woche. Am Ende der Woche kehrte er zu Hwa-chuans Haus zurück, packte sein Bündel und sagte – sein Gesicht sah aus wie das einer Leiche – „Du hast meinen Sohn getötet!“ Hwa-chuan begann zu weinen. „Es ist nicht meine Schuld! Es ist Wu und Tsai und Wang und deren Clique, die es getan haben. Sie haben Yin-chu in die Irre geführt. Ich habe versucht ihn zu retten…Ich habe wie eine Sklavin geschuftet! Es ist leicht für sie mir jetzt die Schuld zu geben. Ich bin bloß eine Frau und eine Witwe. Ich bin schutzlos und habe drei kleine Kinder! Wenn Yin-chu am Leben wäre, würden sie sich nicht trauen mich so anzugreifen!“

Der alte Vater wartete, bis sie mit dem Rasen aufhörte. Dann sagte er noch einmal: „Du hast meinen Sohn getötet! Du wolltest nicht einmal die fünfzehntausend Dollar zahlen, die ich für seine Rettung geschickt habe!“
Die Augen rot vom Weinen schluchzte die Frau bitterlich: „Ich kann mir vorstellen, dass du dieses Geld jetzt auch noch zurückhaben willst…Du würdest es sogar Yin-chus Kindern wegnehmen wollen!“

Der alte Mann drehte sich um und verließ mit schweren, schleppenden Schritten das Haus.

Hwa-chuan war nun allein. Dengs Freunde, die ihr Haus in der Vergangenheit belagert hatten, waren nun wie vom Erdboden verschluckt. Sie weinte sich bei ihren Freundinnen aus, die zu ihr kamen, um ihr Beileid ausdrücken – und es waren nicht viele. Es waren diese Roten, diese Freunde von Deng, die ihren Mann ermordet hatten! Sie wiederholte immer wieder ihre Namen. Und als ihre Anschuldigungen ihre Ohren erreichten, packten sie einer nach dem anderen ihre Sachen und verschwanden aus Nanking.

In den großen historischen Ereignissen jener Zeit gerieten die Details von Dengs Ermordung in Vergessenheit. Sein Name jedoch, der Name eines Märtyrers der Kuomintang, bestand. Und nach und nach wurde Hwa-chuan berühmt als die Witwe des Märtyrers, die Mutter von den Kindern des Märtyrers. Die Revolution schritt voran und Welle für Welle erfasste sie China; die Südarmee nahm Nanking ein, die alte Armee der Militaristen floh. Das Jahr 1927 rückte heran; die Revolution brach entzwei an den Klippen des Klassenkampfes und anstelle der alten errichteten die neuen Militaristen ihre Herrschaft in Nanking. Die Kuomintang wurden von allen außer Militaristen, Landherren und ihren geistigen Apologeten bereinigt. Viele von Dengs Freunden lebten wie gejagte Tiere.
Die neuen Militaristen reklamierten Deng als einen ihrer Märtyrer und für seine Witwe und seine Kinder setzten sie eine lebenslange Rente fest. Seiner Witwe gaben sie große Summen für seine Beerdigung und ein Grabmal. Und als sie murmelte, dass die Renten nur für einen gewöhnlichen Lebensstil ausreichten, gaben sie ihr zusätzliche Summen, damit die Kinder später ins Ausland zum Studieren geschickt werden könnten.
Hwa-chuan, die Witwe, wurde bekannt als die aufrechte und treue Frau eines Revolutionärs, als die Frau, die wie ein Fels an der Seite ihres Mannes stand und ihm in all seiner Arbeit half. Sie selbst entsann sich des öfteren der Strapazen der revolutionären Arbeit in der Vergangenheit. Beamte luden sie ein, sie wurde mit Geschenken und Aufmerksamkeit überhäuft. Sie wurde gebeten, die Regierung mit ihrer Anwesenheit zu beehren – „um dort, wo Deng mit seinem Werk aufgehört hatte, weiterzumachen.“
Mit ihren neuen offiziellen Pflichten war es unmöglich für die Witwe eines Märtyrers mit Dengs drei Kindern belastet zu sein. Sie schrieb Dengs altem Vater nach Szechuan und schlug vor, er möge seine Enkelkinder dorthin holen und großziehen. Da sie ja jetzt eine Witwe sei, wäre es schwer für sie sich selbst und die drei Kinder von ihrem spärlichen Gehalt zu versorgen. Und alles in allem, schrieb sie, gehörten die Kinder zu Dengs Familie. So erschien eines Tages ein Angehöriger von Deng in Nanking und nahm die drei Kinder mit sich nach Szechuan.

Hwa-chuan war nun frei, „mit Dengs Werk, wo er aufgehört hatte, weiterzumachen.“ In Vorbereitung auf diese schwierige Aufgabe ging sie nach Shanghai und kaufte einige neue Kleider und eine gute Menge an ausländischen Düften, Creme, Puder und Rouge. Sie ließ sich eine Dauerwelle machen. All das ließ die Spuren von ihren ehemaligen Sorgen und Schwierigkeiten verschwinden.
So erfolgreich war sie in ihren politischen Pflichten, dass der bewundernde Blick eines alten Beamten auf sie fiel. Er war ein ehemaliger Beamter aus Hunan und ein altes Mitglied der Kuomintang. Er – sein Name war Fu Kwangchuang – war so reich, dass Hwa-chuans Herz einen Schlag aussetzte, wenn sie an ihn dachte. Ein Handlanger der neuen Militaristen, war er einer derjenigen gewesen, die beim „Säubern“ der Provinz von Hunan halfen, als die Konterrevolution begann. Die Presse berichtete damals „er habe seinen Daumen auf die Roten seines Bezirks runtergelassen – und es war ein schwerer Daumen.“

Hwa-chuan erwiderte zurückhaltend Fu Kwang-chuangs bewundernden Blick. Wohl wahr, er war verheiratet mit einer altmodischen Frau, die er auf dem Anwesen in Hunan gelassen hatte und ja, er hatte zehn Kinder. Aber in diesen revolutionären Zeiten ist die Scheidung für ein Regierungsmitglied nicht weiter schwierig.
Kurze Zeit später erzählte der Chauffeur in Fu Kwang-chuangs Diensten dem Pförtner in Fus Abteilung einige Neuigkeiten. Der Pförtner teilte sie mit einem Freund und der Freunde erzählte es einem niedrigen Beamten. Manchmal, sagte er, kam der alte Boss Hwa-chuan am späten Abend besuchen und verließ ihr Haus erst am nächsten Morgen! Diese Nachricht machte die Runde und erreichte am Ende die Ohren von Hwa-chuan selbst. Eines Tages rief sie an, um den ehrbaren und mächtigen Fu zu interviewen und die Federn vieler Schreiber erstarrten in ihren Händen als sie vorbeiging. Voller Ärger drehte sie sich um, als jemand hinter ihr lachte. Am Ende des Monats wurden zwei Männer, die ihr unheilvoller Blick traf, von ihrem Vorgesetzten informiert, dass ihre Arbeit so schlecht war, dass sie nun eine Anstellung woanders suchen sollten. Der schuldige Chauffeur verlor ebenfalls seine Anstellung und der Pförtner wurde auf die Straße hinausgeworfen.

Dann kam der Zwischenfall in Shanghai. Der Chef einer Unterabteilung in Fu Kwang-chuangs Amt ging für ein Wochenende nach Shanghai, um sich die neuesten Filme anzuschauen und die Tanzsäle und Freudenhäuser zu besuchen. Als er einmal in der Nacht zu seinem Hotel zurückkehrte, stieß er auf den alten Beamten und Hwa-chuan. Sie betraten gerade ein Zimmer und als sie Schritte hinter sich hörte, drehten sie sich um. Er war so überrascht, dass er staunend stehen blieb. Nach seiner Rückkehr nach Nanking am darauffolgenden Montag wurde sofort ins Büro seines mächtigen Vorgesetzten gerufen. Der alte Mann hielt einen kleinen Vortrag über die Prinzipien ihres kürzlich verstorbenen Lehrmeisters Sun Yat-sen und brachte seine Anerkennung des Pflichtbewusstseins des jungen Mannes zum Ausdruck. Solch eine Hingabe sollte unter dem neuen revolutionären Regime nicht unbelohnt bleiben. Der junge Mann wurde zum Oberhaupt eines Büros auf höchster Ebene der Abteilung befördert. Kontinuierliche Hingabe sollte auch in Zukunft gleichermaßen belohnt werden. Der junge Beamte äußerte seine tiefe Dankbarkeit und versicherte seinem Chef, dass er bereit sei sein Leben für die Revolution und die Partei, der sie beide angehörten, zu geben. Sein Chef könne sich auf ihn in allen Angelegenheiten verlassen.

Als nächstes begann das Unglück für den Buchhalter der Abteilung. Die Ausgaben stiegen jeden Monat. Die Firmen in Shanghai, von den die Abteilung ihre Versorgungsgüter bezog, schickten Rechnungen; manchmal waren es die falschen. Hier waren zwei der letzten, die er begleichen sollte. Eine davon enthielt die Warenauflistung, auf der zwölf Damentaschentücher standen, jedes zu drei Dollar. Die zweite enthielt zwei Tischdecken mit Servietten, einen Ballen Seide und ein Karton Seidenstrümpfe.
Der alte Beamte betrachtete überrascht die Rechnungen. Da musste ein Fehler vorliegen! Er würde dem nachgehen. Einige Tage später wurde der Buchhalter zu ihm gerufen und erhielt zwei neue Rechnungen. Die Taschentücher auf der einen Rechnung wurden geändert zu einem Dutzend neuer Handtücher für die Abteilung und die zweite war nun eine Pauschalrechnung mit dem Vermerk „Sonstiges“. Dann erhob sich Fu Kwang-chuang und hielt einen kleinen Vortrag. Er schätzte sich glücklich, zum einen seiner Untergebenen einen Buchhalter zu haben, der die Augen offen hielt und auf die Ausgaben seiner Abteilung acht gab. Diese Ehrlichkeit war in diesen Zeiten selten unter den Regierungsvertretern, wie Chiang Kai-shek kürzlich in einer Rede sagte. Von nun an würde das Gehalt des Buchhalters um vierzig Dollar pro Monat erhöht werden, und weitere Hingabe seiner Pflicht gegenüber würde gleichermaßen belohnt werden!
Der Buchhalter äußerte seine Wertschätzung dieser Belohnung und sagte, dass obwohl er nicht des Geldes wegen seine Arbeit leisten würde und es in höchstem Maße erniedrigend fände, für seine Arbeit für die Partei überhaupt einen Gehalt annehmen zu müssen, doch in Anbetracht des Hungers, der Überflutungen und der kommunistischen Plünderungen sei er dazu gezwungen, um seine Existenz zu sichern. In der Zukunft – wie in der Vergangenheit – würde er seine selbstlose Mühe fortführen!
Hwa-chuan, eine der erlesensten Blüten der Kuomintang, „machte mit Dengs Arbeit dort, wo er aufgehört hatte“, auf viele Arten weiter. Einmal traf sie auf einer Straße auf Wu, den ehemaligen Freund von Deng, der sie damals davor gewarnt hatte, ihr Geläster würde zum Tod ihres Mannes führen; derselbe Wu, der bewusstlos zu Boden fiel als Deng erschossen wurde. Er war in einen schäbigen alten Anzug und Hut gekleidet und über seiner Oberlippe prangte eine Narbe, als ob ihm jemand heftig auf den Mund geschlagen hätte. Elegant gekleidet, ein Abbild eines Kunstwerks aus Shanghai, blieb sie dennoch stehen und lächelte ihm bezaubernd zu. Doch anstatt ihr Lächeln zu erwidern, grüßte er sie ironisch bei ihrem Mädchennamen und sagte:

„Ich höre du bist nun eine große Revolutionärin, Sun Hwachuan!“

Sie sah ihn erst misstrauisch, dann argwöhnisch an. „Ich erfülle meine Pflicht!“ entgegnete sie.

„Ganz wie in vergangenen Zeiten!“ bemerkte er.

Hwa-chuans Argwohn wurde zu Wut. „Ich hörte, du wärst – ganz wie in vergangenen Zeiten – ein Roter! Du arbeitest noch immer gegen die Regierung!“

Wu lächelte. Außer sich vor Wut wollte Hwa-chuan ihr Wissen und ihre Macht demonstrieren: „Tatsächlich habe ich deinen Namen auf der Exekutionsliste der Regierung gesehen!“

„Vielleicht wirst du ihnen behilflich sein, Sun Hwa-chuan – wie in vergangenen Zeiten!“ entgegnete Wu. Bitter wandte er sich ab von ihr und ging an ihr vorbei die enge Straße entlang.

An diesem Abend weinte Hwa-chuan. Fu Kwang-chuang konnte es nicht ertragen, Tränen in den Augen seiner kleinen Kostbarkeit zu sehen. Es war alles wegen der Beleidigungen dieses Mannes, Wu, den sie auf der Straße gesehen hätte, sagte sie ihm. Wu Chung-hwa war ein Roter und einer von denen, die an Dengs Verhaftung Schuld waren. Und jetzt beleidigte er sie auf offener Straße!
Der alte Mann wurde rasend vor Wut. Bevor die Nacht vorbei war, sollte dieser Mann in den Händen der Polizei sein! Aber sein kleiner Schatz sollte sich wegen eines solchen Verbrechers nicht die Augen ausweinen. Sie sollte diese Jadeohrringe bekommen, die sie so sehr bewundert hatte, und sie sollte alles bekommen was sie wollte.
Die Tränen  flossen noch immer an ihren Wangen herunter: „Es ist nur, weil ich eine arme Frau bin, und ganz allein, deshalb können mich Menschen so behandeln,“ schluchzte sie. „Wenn Deng Yin-chu am Leben wäre, würde er mich in Schutz nehmen…Aber für dich bin ich auch bloß eine Witwe, mit der man spielen kann. Deine alte Frau hat den Schutz deines Namens und deiner Position – ich habe nichts!“

Fu Kwang-chuang protestierte. Er liebte sie. Aber seine Ehefrau war alt, und sie war die Mutter seiner zehn Kinder. Es würde schlecht aussehen, wenn er sich eine junge Ehefrau nähme.

„Ja,“ weinte sie, „Ich bin ja nichts weiter als die Witwe eines Märtyrers! Ich bin gut genug, mein Leben der Revolution zu geben, aber nicht gut genug für dich, um mich zu heiraten!“

Der alte Mann bemühte sich, ihre Tränen weg zu küssen. Und zuletzt lag er bebend in ihren Armen, erweicht von ihren Liebkosungen, versprechend alles zu tun, was sie wünschte.

Kurze Zeit später beklagte sich Hwa-chuan bei ihm: „Alle reden über uns. Aber ich weiß wer dafür verantwortlich ist. Es ist der Professor Wen Fu-an. Er versucht zu leugnen, dass er ein Roter ist, aber Deng Yin-chu vertraute mir an, dass er einer ist. Das ist der Grund, warum er einen Skandal gegen uns anzettelt!“

Wenige Tage später erhielt Wen Fu-an einen Anruf von einem Freund, der ihn warnte, er sollte sofort Nanking verlassen oder er würde als Kommunist verhaftet werden. Wen war erstaunt. Er sei doch gar kein Kommunist, sagte er. Das sei bedeutungslos, erklärte der Freund, wenn man die Quelle des Gerüchts betrachte. Als Wen den Namen Fu Kwang-chuang hörte, erinnerte er sich an den Tod von Deng Yin-chu in den Händen der alten Militaristen. Die alten Militaristen hatten Hunderte ermordet, die neuen ermordeten Tausende. In jener Nacht nahm er den Zug nach Shanghai.
Schließlich kam der Tag, an dem Hwa-chuans langjährige Qualen für die Revolution ein Ende nahmen. Fu Kwangchuang ließ sich von seiner alten Frau scheiden und verteilte ein Teil seines Vermögens unter ihr und seinen Kindern. Auf Hwa-chuans Namen setzte er ein große Geldsumme und einen Teil seines Shanghaier Grundbesitzes fest. Dies tat er bevor er sie heiratete, da sie, in seinen Armen weinend, ihre Ängste äußerte, dass obwohl dieses Eigentum ihr dem Namen nach gehörte, könnten eines Tages seine Kinder darauf Anspruch erheben.

Sie würde nicht daran denken wollen, er könnte vor ihr sterben – sie würde eher sterben als an solch eine Möglichkeit  auch nur zu denken! Aber falls doch, sollte man doch besser vorbereitet sein.

Nach der Hochzeit und der Vollstreckung der Abmachung schritt Hwa-chuan zu dem Tisch, an dem eine moderne Eheschließungszeremonie abgehalten worden war, der alte Mann stolz an ihrer Seite, die revolutionäre Witwe des revolutionären Märtyrers als sein eigen erklärend. Es gab viele Reden über die Vorzüge der modernen Ehe, der Ehe aus Liebe und über die Geburt einer neuen Gesellschaft, die in solchen Verbindungen ihren Ausdruck fand. „In dieser Ehe,“ rief poetisch einer der Redner aus, „triumphiert die Liebe über die Revolution. Könnte etwas mehr Hoffnung für die Zukunft Chinas mit sich bringen?“

Einer der Redner war der junge Beamte aus der Abteilung des alten Mannes. Dieser Mann hatte Geld von allen Angestellten Fu Kwang-chuangs gesammelt und hatte ein Geschenk von hohem Wert gekauft. Als Vertreter all seiner Kollegen hielt er eine Rede und pries die Selbstentsagung Fu Kwang-chuangs in seinem Amt. Während er redete, glitzerten Tränen in den Augen der Gäste, und sogar der alte Mann selbst weinte.
Nach der Hochzeit sprach Hwa-chuan von ihren Gefühlen übermannt zu Freunden, die ihr gratulierten: „Nun fühle ich, dass ich mehr denn je der Revolution von Nutzen sein kann!“

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